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Channel: PETER PAUL RUBENS 1577-1640 – Kunstmuseum Hamburg
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Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Schule von Belgien

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Im Text gezeigte Abbildungen:
Die Auferweckung des Lazarus von Rubens
Mars und Venus von Rubens
Vier Kinder von Rubens

Erstes Kapitel

Peter Paul Rubens

Der Genius, welcher diese grosse und heilsame Umwandlung der Malerei in seinem Vaterlande hervorbrachte, war Petrus Paulus Rubens.  Seine künstlerische Eigenthümlichkeit war eine so gewaltige, dass, im Gegensatz zu den Malern der vorigen Epoche selbst die Werke der grössten Genien der italienischen Kunst, welche ihm vorangegangen, nur insofern auf ihn einwirken konnten, als er aus ihnen sich das aneignete, wodurch er die Entwickelung seiner Eigenthümlichkeit gefördert fühlte, keiner derselben aber im Stande war, ihn so mächtig anzuziehen, dass er darüber die von dem inneren Naturgesetz ihm vorgezeichnete Bahn verlassen hätte. Diese, seine Eigenthümlichkeit aber bestand nun wesentlich darin, dass sich in einem Grade, wie dieses nie ein anderer Maler vereinigt hat, die Anlage für eine wahre und lebendige Auffassung der Natur, für eine warme und klare Färbung, für eine malerische Gesammthaltung, mit einem, alles Darstellbare umfassenden, Reichthum der Erfindungskraft und einem Feuer der Phantasie durchdrang, welches ihn befähigte auch das Gewaltsamste und in der Natur Vorübergehendste in ergreifendster Weise darzustellen. Die Vereinigung so höchst verschiedenartiger Eigenschaften in solchem Grade, lassen den mehrseitig gebildeten Kunstfreund, wenn auch nicht übersehen, so doch verschmerzen, dass die Formen, seiner Köpfe, wie seiner Körper, nur selten edel, oder von feiner Durchbildung, häufig selbst sehr plump und gemein sind und sich auch sehr oft wiederholen, ja dass selbst sein Gefühl nur selten tief und warm, öfter selbst hart und roh ist. Es versteht sich übrigens, dass solche Bilder, deren Gegenstände seinem künstlerischen Naturell am meisten Zusagen, auch am unbedingtesten befriedigen. Eine solche Naturanlage zur vollen Entfaltung zu bringen, vereinigten sich aber die glücklichsten Lebensumstände.

Den 29. Juni 1577 zu Siegen in der Grafschaft Nassau geboren, fand seine Lernbegier, sein grosses Talent für Sprachen, welches sich schon sehr früh äusserte, durch den angemessenen Unterricht sogleich die vollste Nahrung. Als er daher die Schule des Adam van Noort besuchte, um sich zum Maler auszubilden, besass er bereits — ein höchst seltner Fall bei einem Künstler — in einer klassischen Bildung das Mittel den Gehalt einer Anzahl von Gegenständen, welche vielen Malern ganz unbekannt bleiben, oder doch in sehr getrübter „Weise zukommen, für seine Kunst aus erster Quelle zu schöpfen. Ein ganz besonderes Glück aber war es zunächst, dass er sich in den vier Jahren, welche er den Unterricht jenes Meisters, eines sehr tüchtigen Malers und besonders eines trefflichen Koloristen genoss, den technischen Theil der Kunst, als die wichtigste Grundbedingung, für sein ganzes Leben aneignete, und den ihm in so hohem Maasse eingebornen Sinn für Färbung schon so früh ausbildete. In den vier nächsten Jahren, in welchen er die Werkstatt des Otto Vaenius besuchte, der ihm in obigen Beziehungen nichts sein konnte, musste ihm wieder die grosse, allgemeine Bildung dieses Künstlers trefflich zu statten kommen. Es ist unter diesen Umständen, bei seinem grossen Talent nicht zu verwundern, dass er schon 1598, mithin in seinem 21., Jahre, als Meister in die Malergilde von Antwerpen aufgenommen wurde. Als er darauf im Jahr 1600 die Reise nach Italien antrat, hatte er den seltnen Vortheil, sich schon in einem Zustande der künstlerischen Reife zu befinden, dass die grossen Erscheinungen, welche ihm dort entgegentraten, ihn nur in der weiteren Entwickelung seiner Eigenthümlichkeit fördern konnten. Mit vollem Bewusstsein besuchte er daher auch vor allem Venedig, wo das Studium der, seinem Bestreben am nächsten verwandten, Werke des Tizian und Paolo Veronese, seiner Kunst die letzte Vollendung gewährte. Von den Meistern der florentinischen Schule musste Michelangelo, von denen der römischen, Giulio Romano, welchen er während seines langen Aufenthalts am Hofe zu Mantua zu studiren die beste Gelegenheit hatte, durch das Dramatische ihrer Compositionen, durch die augenblicklichen und kühnen Motive ihrer Gestalten am meisten auf ihn einwirken. Wenn er aber schon während seines siebenjährigen Aufenthalts in Italien als Künstler grosse Anerkennung und Eingang bei den ersten Fürsten fand, so hatte hieran auch seine äusserlich schöne, geistig edle, und dabei hochgebildete und liebenswürdige Persönlichkeit ohne Zweifel einen grossen Antheil. Dasselbe gilt auch, als er sich im Jahr 1609 in Antwerpen niederliess und dort bald eine ansehnliche Zahl von Schülern zog, von der Statthalterin der spanischen Niederlande, Clara Eugenia Isabella, und ihrem Gemahl, dem Erzherzog Albert, so wie von seinem Verhältniss zu anderen fürstlichen Personen, der Königin von Frankreich, Maria von Medici, deren Leben er in einer langen Reihe von Bildern verherrlichte, den Königen Philipp III. und Philipp IY. von Spanien, endlich ganz besonders von dem König Karl I. von England, welcher ihn im Jahr 1630 mit Ehren überhäufte. In seinen reiferen Jahren aber trat er zu den meisten dieser Fürsten durch sein Geschick in diplomatischen Verhandlungen in ein noch näheres Verhältniss, und wurde verschiedentlich mit Aufträgen dieser Art beehrt, deren er sich meist mit gutem Erfolg entledigte. Ausserdem stand er mit den geistreichsten und ausgezeichnetsten Männern «seiner Zeit persönlich und schriftlich in freundschaftlichem Verkebr. Nach einer Laufbahn voll der rühmlichsten und allgemeinsten Anerkennung, als Künstler, als Diplomat und als Mann von hoher und vielseitigter geistiger Bildung, starb er zu Antwerpen im Jahr 1640. Ich gehe jetzt zur Betrachtung seiner Werke, als Belege seiner künstlerischen Entwicklung, über.

In verschiednen der noch vorhandnen Bilder, welche er während seines Aufenthalts in Italien gemalt, findet sich in der Composition noch nicht ganz das Feuer, in der Färbung noch nicht die leuchtende Klarheit seiner, nach der Rückkunft nach Antwerpen ausgeführten, Werke. Die Lichter des Fleisches sind gelblich, die Schatten entschieden hraun. Ein Beispiel hiefür gewähren zwei Stücke eines Altarbildes auf der Bibliothek zu Mantua, welche den Herzog Vincenzo L., seine Gemahlin und zwei andere Personen in Verehrung der Maria in der Herrlichkeit darstellen. Das Beste sind hier die sehr lebendigen Portraite. Ein treffliches Werk aus derselben Zeit, wie die ebenfalls gemässigtere und minder leuchtende Färbung beweist, ist die freie Kopie nach einer der neun, in Leimfarben ausgeführten, Bilder des Triumphzugs von Andrea Mantegna (jetzt in Hamptoncourt), welcher sich damals noch zu Mantua befand, in der Nationalgallerie zü London. Es ist ein sehr wichtiges Zeugniss für die Vielseitigkeit der Studien von Rubens, und ein sehr interessantes Beispiel der Weise, wie er ein von ihm so verschiedenes Kunstnaturell mit dem seinigen durchdrang.  Wie bald er sich aber jene wunderbare Wärme und lichte Klarheit der Färbung aneignete, beweist die heilige Familie, Maria mit dem, von dem kleinen Johannes verehrten, Kinde auf dem Schoosse und Elisabeth und Joseph, welche, nicht lange nach seiner Rückkunft für die Privatkapelle des Herzog Albert gemalt und später in der Oallerie zu Wien, jetzt eine der schönsten Zierden der Sammlung ¦des Marquis von Hertford ausmacht. Auch sind hier die Köpfe mit Ausnahme von dem des Christus, ungleich edler als meist.  Diesem schliesst sich würdig das, jetzt in der Gallerie zu Wien befindliche, Altarbild an, welches er, in Folge des, dem vorigen gespendeten, Beifalls, in Auftrag der Brüderschaft des heiligen Ildephons für die Kirche auf dem Caudenberg bei Brüssel ausführte. Das Mittelbild stellt die heilige Jungfrau auf einem Thron dar, wie sie dem vor ihr knieenden, heiligen Ildephons, Bischof von Toledo, die Casula, ein priesterliches Gewand, überreicht. Zu ihren Seiten je zwei weibliche Heilige, in der Luft drei schwebende Engel. Auf dem rechten Flügel der, am Betpulte kuieende, Erzherzog Albert mit seinem Patron, dem heiligen Albert, in Kardinalstracht, auf dem Huken Flügel ebenso, seiue Gemahlin Clara Eugenia Isabella, mit ihrer Patronin, der heiligen Clara, welche ihr auf einem Buche «ine mit Rosen gezierte Krone darreicht. In der schönen, stilgemässen Anordnung erkennt man den noch frischen Eindruck der grossen italienischen Meisterwerke, dagegen sind die Heiligen von durchaus niederländischem Charakter. Der Kopf des heiligen Ildephons athinet eine Innigkeit, wie Rubens sie nur sehr selten erreicht hat, auch die freudige Theilnahme der weiblichen Heiligen un der ihm gewährten Gnade ist trefflich ausgedrückt. Die grösste Bewunderung verdient indess, das im Vergleich zu den Flügeln, idealische Kolorit des Mittelbildes. Aus dem zarten, über das Ganze verbreiteten, Dufte heben sich in lichter und warmer Klarheit die einzelnen Gestalten hervor. Mit dem sichersten Takt der für Portraite ganz anderen Stylgesetze, treten uns diese dagegen in jedem Betracht in der vollsten Wirklichkeit entgegen. Die in einem satten und kräftigen Goldton gehaltenen Gestalten, welcher in glücklichster Harmonie mit den purpurrothen Teppichen steht, machen, durch den Gegensatz der dunkler gehaltenen Patrone und Hintergründe, eine erstaunliche Wirkung. Hiermit in glücklichster Uebereinstinmiung sind die höchst lebendigen Köpfe sehr kräftig modellirt, die Hände und sonstige Einzelheiten mit gleichmüssiger Sorgfalt durchgeführt.

In der Zeit, wie in der Trefflichkeit, nahe steht diesem das kleine Altarbild mit Flügeln im Museum von Antwerpen, No. 275 — 277, dessen Mitte die Ungläubigkeit des heiligen Thomas, die Flügel die höchst schlichten und naturwahren Bildnisse der Stifter; Bürgermeister Bockox und seiner Frau (letztere ist leider etwas verwaschen) darstellen. Durch eine ähnliche, gemüthliche Auffassung, die sehr gemässigte Färbung, die liebevolle Ausführung ist diesem Bilde nahe verwandt das Bildniss von Rubens mit seiner ersten, 1609 mit ihm vermählten Frau Isabella Brant, in der Pinakothek No. 255. In dem berühmten Bilde der Kreuzabnahme in der Kathedrale von Antwerpen, wozu Rubens am 7. September 1611 von der Genossenschaft der Armbrustschützen den Auftrag erhielt, und welches schon im Jahr 1614 auf dem Altar derselben aufgestellt wurde, erreichte er auf dem Gebiete der kirchlichen Malerei seine grösste Höhe. Die Composition ist meisterhaft in sich abgeschlossen, die Handlung sehr wahr und lebendig, die meist edleren Köpfe als gewöhnlich,. vor allen der der Maria, von wahrem und tiefem Ausdruck. Auch die Bilder der Flügel, die Heimsuchung und die Darstellung im Tempel, haben ähnliche Vorzüge. Die Färbung in allen drei Bildern ist dabei sehr warm, kräftig und harmonisch, doch gegen andere, meist spätere, Bilder gemässigt, die Ausführung zwar meisterhaft breit, doch sehr sorgfältig.

In der, in derselben Kirche befindlichen, kolossalen Errichtung des Kreuzes mit zwei Flügeln, erscheint Rubens in seiner titanen-mässigen Grösse in Darstellung gewaltsam bewegter Handlungen. Die Wirkung dieses Bildes hat daher etwas Ueberwältigendes. In allen sonstigen Beziehungen hält es indess keinen Vergleich mit dem vorigen aus. Sehr nahe steht dagegen demselben, namentlich der Heimsuchung, die Rückkehr von der Flucht nach Aegypten in der, für Bilder von Rubens ersten Privatsammlung in der Welt, des Herzogs von Marlborough, zu Bienheim. Es gehört zu den edelsten und feinsten Bildern des Meisters in dieser kirchlichen Sphäre.

Eins der vorzüglichsten Bilder unseres Meisters aus dem Kreise der Legende ist die im Jahr 1619 ausgeführte Communion des heiligen Franciskus im Museum von Antwerpen, No. 273. Obwohl darin für die Composition der Einfluss des Annibale Carracci, für die Art der sehr schlagenden Wirkung der, schon von Sandrart im Allgemeinen geltend gemachte, des Michelangelo de Caravaggio wahrzunehmen ist, so steht doch Rubens auch hier wesentlich auf eignen Füssen. Die Kopfe sind individueller in den Formen, tiefer im Ausdruck, als bei dem ersten, das Helldunkel klarer und satter im Ton, als bei dem zweiten. Besonders ausgezeichnete Werke aus dieser besten, mittleren Zeit sind noch folgende. Die für den höchst gebildeten Kunstfreund van der Geest ausgeführte Amazonenschlacht in der Pinakothek. Obgleich hier Rubens offenbar das geistreiche Motiv, dass der Kampf auf einer Brücke vor sich geht, der berühmten, jetzt nicht mehr vorhandnen, Schlacht von Cadore von Tizian entlehnt hat, wie aus der, in der Gallerie der Uffizien in Florenz vorhandnen, Skizze dazu erhellt, genommen, hat er in der Ausbildung die verschiedensten Momente eines solchen Vorganges, wobei ihm hier noch der Gegensatz der Männer und Frauen zu Statten gekommen, in ihrer ganzen Furchtbarkeit und Augenblicklichkeit, in ebenso deutlicher als poetischer Weise zur Anschauung gebracht. Dabei ist die Ausführung in einer kräftigen, aber gemässigten Färbung höchst geistreich.1 Würdig stellt sich diesem Bilde durch das Feuer der Erfindung, wie in jedem anderen Betracht, das sogenannte kleine jüngste Gericht in der Pinakothek, No. 297 Cabinette,2 zur Seite und schliessen sich wieder diesem die Bekehrung des Paulus ebenda No. 317 Cabinette, und der nur skizzenhaft behandelte Franciscus de Paula, der, in der Luft schwebend, von Pestkranken angefleht wird, ebenda No. 318 Cabinette, an. Ein Hauptwerk aus dieser Zeit ist endlich die berühmte Kreuzigung im Museum zu Antwerpen, No. 265. Id der ungestümen Weise, womit Longinus die Seite Christi durchbohrt, spricht sich wieder das zum Dramatischen geneigte Naturell des Künstlers aus, doch sind die Köpfe edel, der der Maria und der Magdalena, eine der gelungensten Figuren von Rubens, tief empfunden, die Färbung, wiewohl sehr warm und klar, doch gemässigt, der landschaftliche Hintergrund trefflich, die Ausführung ebenso geistreich als solide. Aehnliche treffliche Eigenschaften besitzt die in der Sammlung der Eremitage zu Petersburg befindliche Fusswaschung Christi durch Magdalena, welche etwa derselben Zeit angehören möchte. Die Köpfe Christi und der Magdalena gehören zu den edelsten, welche Rubens gemalt hat. Obwohl in der Auffassung sich dem Genreartigen nähernd, so ist doch das, 1625 bezeichnete, Bild, Loth mit seinen Töchtern aus Sodom fliehend, im Louvre No. 425, durch die Schlankheit und Mässigung in den Formen, die Feinheit des Gefühls in den Köpfen, die«Gediegenheit der Durchführung eines seiner anziehendsten Bilder. Yon derselben Zeit und Art ist die Verstossung der Hagar in der Ermitage zu Petersburg, und zugleich ein wahres Wunder des tiefen, glühenden Helldunkels. In der späteren Zeit lässt sich an den Gemälden des Künstlers eine allmälige Veränderung wahrnehmen. Die Compositionen zeigen einen Pomp, eine Ueberfülle, welche in etwas an die überreichen Formen des Jesuiterstyls in der Architektur erinnert. In den Köpfen tritt entschiedener der Realismus hervor, das Gefühl wird kühler und weltlicher, die Formen der Körper erhalten eine Fülle, welche öfter in Uebertreibung ausartet, die Färbung wird im Lokalton des Fleisches röthlicher, im Allgemeinen, aber öfter auf Unkosten der Wahrheit, brillanter, die höchst geistreiche und leichte Behandlung artet häufig in Flüchtigkeit aus. Eins der frühsten Beispiele dieser neuen Kunstweise gewährt die, im Jahr 1624 ausgeführte, Anbetung der Könige im Museum zu Antwerpen, No. 266. In der ganzen Auffassung sieht man den Einfluss des Paolo Veronese, die Maria ist hier fast gemein, das Kind sehr gewöhnlich, die Färbung von einer erstaunlichen Kraft und Wärme, die Behandlung von ungemeiner Breite. Eins .der ansprechendsten Bilder aus dieser Zeit ist dagegen die ebenda befindliche heilige Therese, No. 267, welche den Bemardin de Mendoza aus dem Fegefeuer befreit. Die Köpfe sind hier gefällig, aber weltlich, die leichte und geistreiche Behandlung von wunderbarer Weichheit. Dass Rubens aber auch noch in seiner letzten Zeit im Stande war, ein Werk mit sorgfältigem Studium durchzuführen, beweist sein Martyrium des heiligen Petrus zu Köln vom Jahr 1638, welches, wüe widerstrebend auch die Auffassung des Heiligen durch seine grässliche Wahrheit ist, doch in dem Aufwand von Kunst eine noch ungeschwächte Kraft zeigt.

Nachdem ich so den Gang der Entwickelung von Rubens als Künstler an einer Reihe von Werken dargethan, wende ich mich zu der Betrachtung einer Anzahl von Bildern von ihm, nicht nach der oft schwer zu bestimmenden Zeit, in welcher sie gemalt, sondern nachdem sie, besonders charakteristisch, die verschiedenen Richtungen seines reichen Genius abspiegeln. Zu seinen schönsten Compositionen aus dem neuen Testament gehört die Aufervseckumg des Lazarus No. 783 des Museums zu Berlin (Fig. 47). Aich diie Köpfe sind hier edler in den Formen, tiefer im Gefühl als meist.

Für seine wunderbare Schöpfungskraft auf dem Gebiete des Pliantatisch-Dramatischen ist besonders noch sein für die Kathedrale von Frei sing ausgeführter, jetzt in der Pinakothek befindlicher Kampf des Engels Michael mit dem siebenhäuptigen Drachen, welcher die Jungfrau verschlingen will, Ko. 281, als ein Hauptwerk, näclistdem aber Ignatius von Loyola und Xaverius, welche Teufel austreiben, woran indess seine Schüler starken Antheil haben, in‘ der Gallerie zu Wien, anzuführen. Unter den zahlreichen Bildern aus dem Kreise der antiken Mythologie, welche, obwohl in seinen niederländischen Formen aufgefasst, doch höchst anziehend und geistreich sind, zeichnen sich, für das Augenblicklich-Dramatische,, der Raub der Töchter des Leucippus von Castor und Pollux in der Pinakothek Ko. 291, der Raub der Proserpina in der Sammlung von Bien heim,1 endlich die Befreiung der Andromeda in der Ermitage zu St. Petersburg aus. Eine erstaunliche Energie dea sinnlich-berauschten bacchischen Lebens verrathen sein Bachanal im Bienheim, sein trunkner Silen mit Satyrn und Bacchanten in der Pinakothek Ko. 264, endlich, alle an Gediegenheit übertreffend, derselbe Gegenstand in der Ermitage zu St. Petersburg. Von hin-reissendem, idyllisch-landschaftlichen Reiz ist das Urtheil des Paris in der Kationalgallerie,  und das Fest der Venus auf der Insel Cythere in der Gallerie zu Wien, welches gleich sehr durch die reiche, poetische Erfindung, wie durch den Zauber der goldigen Farbe wirkt. Ein Beispiel aus diesem Kreise gewährt Venus und Mars, welcher von Liebesgöttern entwaffnet wird (Fig. 48).

Fast nirgend erscheint dagegen Rubens weniger befriedigend  als in seinen vielen Bildern allegorisch-historischen Inhalts. Dieselben leiden nicht allein an einer sehr gesuchten Gelehrsamkeit und Ueberladung, sondern öfters auch an einem höchst geschmacklosen Durcheinanderwerfen von portraitartigen Personen in den Trachten seiner Zeit mit den meist nackton Gottheiten des antiken Olymps. Besonders gilt Letzteres von seinen 21 grossen Bildern aus dem Leben der Maria von Medici im Louvre, an denen das Meiste noch dazu von seinen Schülern, welche, etwa vom Jahr 1621 an, die Mehrzahl seiner Bilder von grösserem Umfang ausgeführfc haben, herrührt. Die Theile, welche darin seine eigne Hand er kennen lassen, gehören allerdings zu seinen schönsten Leistungen, indem die Ausführung dieser Folge von 1621 —1625, also in seine beste Zeit, fällt. Besonders zeichnen sich in dieser Beziehung aus, Heinrich IV., welcher das Bildniss der Maria von Medici erhält, No. 437, die Vermählung, No. 440, Heinrich IV., welcher Maria von Medici zur Regentiu ernennt, No. 442, ihre Krönung, No. 443, ihre Regierung, No. 445, die Segnungen derselben, No. 448, ihre Flucht, No. 450, ihre Zusammenkunft mit ihrem Sohn, No. 453, endlich der Triumph der Wahrheit, No. 454. Sehr geistreich sind die in der Pinakothek befindlichen Skizzen zu dieser Folge behandelt. Noch ungleich weniger Antheil hat Rubens an den, die Apotheose Jakobs I. darstellenden, Bildern an der Decke der Kapelle von Whitehall in London. An den kolossalen Bildern aus dem Kloster Lo ec lies unfern Madrid, dem Triumph der Religion u. s. w., welche sich jetzt tlieils im Louvre, No. 42(5, 432, theils in der Sammlung des Marquis Yon Westminster in London befinden, ist vollends die eigne Hand des Meisters nirgend zu erkennen.

Ungleich mehr zu seinem Vortheil erscheint er in der Behandlung der Geschichte, vor allem der, seinem energischen Geiste so sehr zusagenden, römischen. Das Hauptwerk dieser Gattung sind seine sechs Bilder aus der Geschichte des Consuls Decius Mus, in der Gallerie des Fürsten Liechtenstein zu Wien, vor allem das, wo er sich, verhüllt, vom Hohenpriester dem Tode weihen lässt.

Mit sichtbarer Lust und seltenem Erfolg stellt er gelegentlich nackte Kinder dar. Das Naive im Ausdruck, die Grazie der Bewegungen, die völligen Glieder von blühender Farbe, versteht er unvergleichlich wiederzugeben. Besonders schöne Beispiele dieser Art sind sieben Kinder, welche ein reiches Fruchtgehänge tragen, in der Pinakothek, No. 262. Vier Kinder (Fig. 49) im Museum zu Berlin, No. 779, und mehrere Kinder, welche Getreide erndten, in der Sammlung des Lord Radnor zu Longfordcastle.

Auch im Fach des Genre hat sich Rubens mit ungemeinem Erfolg in verschiedenen Richtungen versucht. So weht in einem Turnier auf Tod und Leben in der Nähe einer alten Ritterburg, im Louvre, No. 463, in sehr poetischer Weise der Geist des Mittelalters. Sein unter dem Namen der Liebesgarten bekanntes Bild, welches verschiedene Paare in den eleganten Trachten der Zeit im Freien im behaglichsten Verkehr darstellt, im Museum zu Madrid, und ein anderes Exemplar in der Gallerie zu Dresden, No. 803, ist das höchst feine und anziehende Vorbild der Maler der sogenannten Conversationsstücke, eines Terburg und Metsu, seine Kirmess im Louvre, No. 462, welches mit erstaunlichster Lebendigkeit und wunderbarster Kraft und Wärme der Farbe eine herkulische Bauernwelt in grösster sinnlicher Ausgelassenheit darstellt, das Vorbild eines Brouwer, eines Teniers und Ostade, welche diese Gegenstände nur nach der Verschiedenheit ihres Naturells anders auffassten.

Seiner ganzen Richtung gemäss musste Rühens ein vortrefflicher Bildnissmaler sein, und in der That ist die Anzahl der ausgezeichneten Werke, welche er in diesem Fache ausgeführt hat, gross. Ich muss mich daher begnügen, ausser den schon oben erwähnten, einige der allervorzüglichen namhaft zu machen. Die sogenannten vier Philosophen ist die wunderliche Benennung des berühmten Bildes im Palazzo Pitti zu Florenz, welches, in ungemeiner Lebendigkeit, Justus Lipsius, Hugo Grotius, Rubens und seinen Bruder Philipp, darstellt. Zugleich feiert die warme, leuchtende Färbung des Meisters hier einen wahren Triumph. Nicht so brillant in der Färbung, aber im Einzelnen mit dem feinsten Naturgefühl durchgebildet, ist das, vormals in der Sammlung des Königs der Niederlande, jetzt im Louvre befindliche Bildhiss des Baron Henry de Vicq, No. 458, Gesandten der spanischen Niederlande am französischen Hofe, aus der früheren Zeit des Meisters. Würdig schliesst sich diesen das Bildniss des berühmten Grafen Arundell in Warwickcastle in England an. Eine edle und bedeutende Persönlichkeit ist hier in Form und Farbe mit einer erstaunlichen Energie aufgefasst. Sehr bequem in der Anordnung und von grösster Lebendigkeit, auch seltenster Glut der Farbe und Gediegenheit der Ausführung, sind die Portraite der beiden Söhne des Künstlers in der Gallerie des Fürsten Liechtenstein zu Wien, wovon eine Originalwiederholung in der Dresdner Gallerie. Unter den weiblichen Bildnissen ist das seiner zweiten Frau, Helena Fourment, in der Sammlung zu Bienheim, wo sie mit einem Pagen sich im Freien ergeht, für glückliche Erfindung, wie meisterhafte Ausführung eins der schönsten, wird aber noch von dem in derselben Sammlung übertroffen, wo sie mit Rubens und einem Kinde dargestellt ist, welches sie am Gängelbande führt. Das Gefühl häuslichen Glücks gesellt sich hier zu der seltensten Meisterschaft. Dagegen liegt der Hauptreiz des berühmten Chapeau de paille in der Sammlung von Sir Robert Peel in London in der wunderbar gelungenen Lösung der höchst schwierigen Aufgabe einen ganz im Schlagschatten liegenden Kopf in dem klarsten und lichtesten Ton in seinen Einzelheiten wiederzugeben. Eben so glücklich ist ganz dieselbe Aufgabe in dem Bildniss seiner zweiten Frau, Helena Fourment, in der Ermitage zu Petersburg behandelt, welches jenem ausserdem, als ganze Figur von seltner Eleganz, überlegen ist.

Eine der glänzendsten Beziehungen dieses allseitigen Genius ist aber die Tiermalerei. Pferde, Hunde, Hirsche, wilde Schweine, ganz besonders aber reissende Thiere, Löwen, Tiger, Panther, Wölfe, Füchse, malte er mit der wunderbarsten Meisterschaft. Meist erscheinen sie in Conflikt mit den Menschen, aber nur selten in dem Zustand der Ruhe, wie die neun Löwen, auf dem berühmten Bilde des Daniel in der Löwengrube in der Sammlung des Herzogs von Hamilton in Hamiltonpalaee, wo der sehr untergeordnete und wenig bedeutende Prophet nur die Veranlassung gegeben hat, eine Reihe von Studien nach Löwen in einem Bilde zu vereinigen. Wir wissen zuverlässig,  dass Rubens dieses Bild ganz mit eigner Hand ausgeführt hat. Die Pinselführung ist sehr geistreich, doch die Färbung keineswegs brillant, sondern sehr gemässigt. In jedem Betracht stimmt am meisten mit diesem eine Löwin, welche mit zwei jungen Löwen spielt, in der Eremitage zu St. Petersburg überein. Diese Löwin ist eins der geistreichsten und vollendetsten Naturstudium nach Thieren, welches es überhaupt geben möchte. Ungleich mehr, sagten ihm Jagden zu, wo sieh Menschen und Thiere im wüthendsten Kampf befinden. Der Art ist die berühmte, im Jahr 1612 für den spanischen General Legranes ausgeführte Wolfsjagd, worauf er selbst mit seiner ersten Frau, Katharina Brant, zu Pferde erscheint, in der Sammlung des Lord Ashburton zu London. Näehstdem zeichnen sieh die beiden Löwenjagden in den Gallerien zu München und Dresden und die Hirschjagd, No. 774, im Museum zu Berlin aus. Auch die treffliehe Jagd des kalydonisehen Ebers in der Gallerie zu Wien gehört, unerachtet des mythologischen Gegenstandes, dieser Klasse an. Unter allen seinen Thieren ist vielleicht eine Tigerin, welche ein Krokodil anhaueht, auf seinem Bilde der vier Weltheile in derselben Gallerie in Lebendigkeit und Energie der Auffassung, in Wahrheit und Kraft der Farbe, in dem trefflichen Impasto der Ausführung, sein Meisterstück.

Gleich Tizian erscheint endlich Rubens schon in den Hintergründen vieler seiner Bilder als ein sehr grosser Landschaftsmaler, doch hat er ungleich häufiger als jener auch eigentliche Landschaften gemalt. Hier lassen sich aber wieder zwei Klassen unterscheiden. Bisweilen versucht er sieh auf dem Gebiet der historischen Landschaft mit Figuren aus der Mythologie. Hier wählt er vorzugsweise Vorgänge, bei denen die Elemente sich in wildester Empörung befinden. Diese sind von erhabener Poesie in der Auffassung, und von ergreifender Wirkung. Als besonders ausgezeichnet führe ich folgende an. Die Ueberschwemmung in Phrygien, welche die Gottlosen verschlingt, während Jupiter und Merkur mit Philemon und Bands Zusehen, in der Gallerte zu Wien. Zu einer wunderbar kühnen Erfindung kommt hier eine dem Rembrandt nahe Gluth der Beleuchtung und eine an Freehheit grenzende Meisterschaft der Behandlung. Der Schiffbruch des Aeneas in der Sammlung von HT. T. Hope, in London, und Odysseus und Nausicaa im Palast Pitti. Gewöhnlicher aber gefällt er sich, uns in seltenster Frische und schlagender Belenchtnng die gesegneten Fluren van Brabant vorzuführen. Diese Bilder, von tiefem Xatur-gefühl, atlnnen in seltnem Maasse die Stimmung des Idyllischen und Ländlichen. Yon hervorragendem Werth unter diesen sind die sogenannte „Prairie de Lacken“ in Buckingham Palace und eine grosse Landschaft in Windsorcastle, eine ähnliche in der Nationalgallerie und die unter dem Namen des Regenbogens bekannte in der Sammlung des Marquis von Hertford. Obgleich etwas kleiner, steht diesem eine, ebenfalls einen Regenbogen enthaltende, in der Eremitage zu St. Petersburg, in deren Vordergrunde ein die Schalmei blasender Hirt nnd zwei liebende Paare, in der warmen Abendwirkung nicht nach, ist ihr aber in der gleichmässigen Durchführung überlegen. In einer anderen, ebenda befindlichen Landschaft von bergigtem Charakter, worin ein Karren mit zwei Pferden unizustürzen droht hat Rubens seine Meisterschaft in der Beleuchtung zwischen der untergegangenen Soiiue und* dem anfgegangenen Mond bewiesen.

Text aus dem Buch: Handbuch der deutschen und niederländsichen Malerschulen (1862), Author: G.F. Waagen.

Siehe auch:
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Vorrede
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Erstes Kapitel von 800-1150
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Zweites Kapitel von 1150-1250
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Der Germanische Stil
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Ausbildung der eigentlichen selbständigen Malerei
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – vollständige Ausbildung des germanischen Kunstnaturells im Geiste des Mittelalters
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Schule der Brüder van Eyck his gegen Ende des 15. Jahrhunderts
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Schule der van Eyck bis zu ihrem Ausgange
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die deutschen Schulen in ihrem Übergange von der Kunstweise der vorigen Epoche zum Realismus bis zum Jahr 1460
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die deutschen Schulen in der realistischen Richtung der van Eyck’schen Schule von 1460-1500
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Schule von Köln und dem Niederrhein
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die deutschen Schulen in der vollständigen Entwicklung ihrer Eigenthümlichkeit Von 1500-1550
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die fränkischen Malerschulen
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Sächsische Maler
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die schwäbische Schule
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Malerei am Niederrhein und in Westphalen
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Verzerrung des germanischen Kunstnaturells in der Historienmalerei durch Nachahmung der Italiener
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Die Malerei in Deutschland
Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen – Zweite Blüte des germanischen Kunstnaturells in der Form der modernen Geistesart


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