(1577—1640)
Leinwand, 222×209 cm
Der Mythos der Dioskuren ist bekanntlich durch die Lokalsagen sehr kompliziert. Sie erscheinen hier als die Lichtgötter, welche die Lichtgestalten Hilacira (die Heiterglänzende) und Phoebe (die Leuchtende), Töchter des Messeniers Leukippos, als Geliebte entführten. Die Komposition ist bei aller Bewegtheit ohne alle gewalttätige Aufdringlichkeit und von maßvoller geschlossener Schönheit. Die Wahrheit der nackten weiblichen Blondgestalten, die mehr erschreckt als widerstrebend sich ergeben, verbindet sich mit bezauberndem Reiz der elastischen Formen, welche im Gegensatz zu dem mehr barocken Gliederbau von Rubens späterer Zeit noch von der klassischen Nachwirkung Italiens Zeugnis geben. Macht sich dabei auch schon die Üppigkeit des Fleisches, wie sie Rubens eigen ist und bleibt. Fühlbar, so ist doch die Farbe kühl und von emailartigem Schmelz, in ihrer blonden Lichtheit scharf kontrastierend gegen das braune Fleisch der beiden Jünglinge, welche kraftvoll und doch mit zarter Schonung die Mädchen auf die unruhigen Pferde heben. Das mythologische Wesen, Rubens Kunst stets das Zusagendste, weshalb er auch, unterstützt von der durch klassische Bildung genährten Phantasie, selbst seine historischen Bilder stark mit mythischen und allegorischen Gestalten versetzt, feiert in unserem Werke einen seiner Triumphe. M. Rooses, welcher wohl mit Recht das Bild in die Jahre 1619/20 setzt, will daran eine weitgehende Mitwirkung des jungen van Dyck erkennen, zunächst in den Pferden, welche ihre Modelle wohl ebenso wie in der Löwenjagd in Rubens Marstall hatten, dann aber auch in der malerischen Ausführung der nackten Körper der Leukippiden. Auch die Landschaft dürfte auf Gehilfenhand hinweisen, deren Mitwirkung schon aus dem Grunde nicht gering angeschlagen werden kann, da Rubens damals nicht bloß stark mit Aufträgen belastet erscheint, sondern auch selbst über zu große Scbülerzahl klagt. — Das Werk stammt aus der Düsseldorfer Galerie. Im Katalog von Pigage 1777 figuriert es noch unter dem Titel „Entführung von zwei Frauen“, doch weiß der Verfasser bereits, daß Winckelmann in seiner Abhandlung über die Allegorie. Dresden 1756, S. 46 eine ähnliche Darstellung auf einem Urnenrelief der Villa Medicis in Rom, vorher als Raub der Sabinerinnen erklärt, als den Raub der Leukippiden durch die Dioskuren gedeutet habe. Vielleicht dankte Rubens diesem Relief die Anregung zu unserem Gemälde.
Text und Bild aus: Album der Alten Pinakothek zu München, fünfzig Farbendrucke, mit begleitenden Texten und einer historischen Einleitung. Author,Alte Pinakothek (Munich, Germany); Reber, Franz von.