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Channel: PETER PAUL RUBENS 1577-1640 – Kunstmuseum Hamburg
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Peter Paul Rubens

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RUBENS! Ein Meister, bei dem sich die Bewunderung in dem Ausdruck ihrer Begeisterung bis zur Uebertreibung gesteigert hat und die Kritik bis zur Herabsetzung gegangen ist. Da giebt es keinen vermittelnden Standpunkt. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Ja, man kann sagen: Dem fesselnden Reize seiner Kunst entzieht sich nur, wer sie ignoriert.

Im Jahre 1768 wendet sich Graf Cobenzl, ein hoher Beamter Oesterreichs in den Niederlanden, an Winckelmann mit der Bitte, ihm sein Urteil über Rubens mitzuteilen. Der berühmte Forscher auf dem Gebiete der Kunst des Altertums gerät etwas in Verlegenheit. Indem er den flämischen Meister an der klassischen Elle misst, kommt er zu dem Schluss, dass Rubens der Glanzpunkt der Kunst innerhalb seiner Schule, für sein Jahrhundert und für alle kommenden Jahrhunderte sei; dass man die Fruchtbarkeit seiner Phantasie bewundern müsse u. s. w. Dieses Lob ist mit so vielen Vorbehalten erteilt, dass es kaum mehr als Lob zählen kann. Für Winckelmann — klar gellt dies aus seinen Worten hervor —- ist Rubens als Künstler ohne tiefere Bedeutung und jenes lobende Urteil ist mehr aus Höflichkeit als aus Ueberzeugung ausgesprochen. Raffael, Annibale Carracci, Raffael Mengs, diese tadellos korrekten Zeichner, das sind seine Götter.

Dass Rubens drei Jahrhunderte hindurch unter derartigen, wenig verständigen Vergleichen zu leiden hatte, kann nicht weiter befremden. In Kunstdingen wird der Geschmack von einseitiger Vorliebe beherrscht. In unserm Jahrhundert z. R. ward dies bewiesen durch den leidenschaftlichen Hass gegen Delacroix, der Hand in Hand ging mit der begeisterten Verehrung für die Meister der akademischen Schule.

Wenig Künstler haben zu ihren Lebzeiten eine Stellung eingenommen, die sich mit der vergleichen liesse; die Rubens sich nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Spanien, Frankreich und England, ja selbst in Italien erworben hat. Man muss ferner anerkennen, dass er zu jener Gruppe von Künstlerpersönlichkeiten zählt, deren Bedeutung in unerschütterlicher Weise unser Jahrhundert festgelegt hat, wie es sich als Ehre anrechnen darf. Das Urteil der Kunstverständigen hat Rubens ebenso wie Rembrandt, Frans Hals, Velazquez einen Platz weit über den Malern gleicher Schule und gleicher Richtung angewiesen.

Rubens gehört zu den Künstlern, die nicht ohne weiteres von der grossen Menge verstanden werden können. Da seine Schöpfungen aus ihrer ursprünglichen Umgebung in den Kirchen und Palästen entfernt sind, erfordern sie von dem Beschauer ein Abstrahieren von Gegenwart und Wirklichkeit, eine Phantasiethätigkeit, zu der unser Geist erzogen sein muss. Seine Kunst, so tief sie auch in der Wirklichkeit wurzelt, bringt diese doch nicht zu unmittelbarem und entschiedenem Ausdruck, und so erfordert sie von dem Beschauer eine geistige Arbeit, deren nur die Begabten fähig sind. Selbst des Meisters Bildnisse gehen im allgemeinen nicht unmittelbar von der durch Konvention und sonstwie unbeeinflussten Natur aus, wie diejenigen Tizians zum Beispiel.

Von Rubens gemalt zu werden, war das Vorrecht der Grossen, derer, die ihre soziale Stellung über die Menge erhob. Die Haltung, die Lichtführung, selbst das Beiwerk bezeugen die Sorgfalt der Inszenesetzung, welche ein Modell von minder hohem Rang dem Meister erspart. Es liegt in seinen Bildnissen ein gewisser Heroismus, von dem das Selbstporträt des Künstlers das treffendste Beispiel ist. Der Nachwelt ist der Name Rubens unzertrennlich von der Erinnerung an dieses Selbstporträt; durch alle Arten von Reproduktion, von der aus Marmor bis hinab zu der aus Pfeiferkuchen, ist es denkbar populär geworden.

Winckelmann begründet in dem oben zitierten Brief an Cobenzl sein Urteil über Rubens auf den Bildern von Santa Maria in Vallicella in Rom. Er denkt, Rubens müsse auf der Höhe seines Ruhmes und seines Könnens gewesen sein, wenn er bei einem Werke von solcher Bedeutung hinzugezogen wurde.

Dieser Irrtum (Rubens war noch sehr jung, als er die Bilder für die Chiesa nuova malte) erklärt es zur Genüge, dass der berühmte deutsche Kritiker vor den Werken des Meisters sich sagen konnte: guarda e passa.

Rubens nur auf Grund jener Schöpfungen kennen, die während seines italienischen Aufenthaltes entstanden, heisst ihn nicht kennen. Man muss natürlich auch diese Werke in die Betrachtung mit hineinziehen, um ein vollständiges Bild von dem Meister zu haben. Und dann erkennt man, dass seine grossartige Persönlichkeit sich erst wahrhaft offenbart von dem Augenblick an, da er, als einstimmig anerkanntes Haupt der Schule von Antwerpen, ja der ganzen vlämischen Schule, einer Plejade von Schülern, oder richtiger von Mitarbeitern, das Kunstgesetz vorschreibt.

Es führt zu keinem Resultat, von den Jugendarbeiten des Meisters vor seiner italienischen Reise zu sprechen. Man mutmasst sie, aber man kennt sie nicht. Ebensowenig wie die Werke einer Pacheco uns seinen Schüler Velazquez verkünden, ebensowenig lassen uns die des Otto Vaenius einen Rubens voraussehen. Die wenigen Bilder, die man mit einiger Wahrscheinlichkeit der ersten Zeit des Künstlers zuschreiben kann, bekunden eine Freiheit der Technik, die nicht allzu häufig bei den Antwerpener Künstlern aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts zu finden ist. In Italien dann zeigen selbst seine ersten sicheren Werke ein Zusammenwirken verschiedenartiger Einflüsse, vor allem des Giulio Romano, Michel Angelo, Caravaggio und dann auch des Baroccio.

Nicht einen Augenblick ist Rubens so italienisierend gewesen, dass es möglich wäre, ihn mit den Meistern Italiens zu verwechseln. Aber andererseits muss man zugeben, dass in Mantua, in Genua, in Rom der Künstler noch nicht in seinen Werken erkennen lässt, was er einst sein würde. Die Taufe Christi (Museum von Antwerpen), die Transfiguration (Museum von Nancy), das Urteil Salomonis (Museum von Madrid), das reizende Frauenporträt, welches im Jahre 1893 in Madrid ausgestellt war, alle diese Gemälde sind der Reihe nach bezweifelt worden, und bei den Jüngern von Emmaus (auf dem Altar des Oratoriums im Palast Alba zu Madrid) ist es nur dem Kupferstiche W. Swanenburgs zu danken, wenn es gelungen ist, eine grössere Anzahl von Kunstverständigen von dem Rubensschen Ursprung des Gemäldes zu überzeugen. Es stammt vielleicht schon aus den ersten Jahren nach des Künstlers Rückkehr nach Antwerpen, so deutlich auch noch der Einfluss des Caravaggio sein mag.

Rubens hat von Anfang an Verständnis, ja ein beinahe instinktives Gefühl für das malerisch Grosse bekundet, dennoch konnte er sich nicht sofort von dem Schuleinfluss losmachen, und es drängt sich die Frage auf, welchen unheilvollen Einfluss für seine Zukunft eine Verlängerung seines Aufenthalts in Italien hätte haben können, welcher ja glücklicherweise durch die Umstände auf sechs Jahre beschränkt wurde. Seine Thätigkeit in Mantua im Dienste des Vincenz von Gonzaga war sicher ehrenvoll und brachte ihm Ansehen. Noch aber fehlte dem Künstler die Selbständigkeit der Auffassung, die an einem Hofe, der einigen der grössten Künstler Italiens seinen Nimbus verdankte, um so wertvoller für ihn gewesen wäre.

Ein erster Schritt auf dem Wege zur Selbständigkeit sollte die Reise des Künstlers nach Spanien im Jahre 1603 sein, als der Herzog von Mantua ihn zu Philipp III. nach Valladolid sandte. Dort befand er sich gegenüber einigen der schönsten Gemälde Tizians in ihrer ganzen frischen Farbenpracht, und das Studium dieser Meisterwerke hinterliess deutliche Spuren in den ersten Werken seines Pinsels nach seiner Rückkehr nach Antwerpen.

Da ist die Anbetung der Könige im Museum von Madrid, welche von dem Rat seiner Vaterstadt unmittelbar nach seiner Heimkehr bestellt wurde, ein grossartiges Gemälde, voller Bewegung. Die Stadt gab es nach wenigen Jahren wieder aus Händen, um es dem Rodrigo Calderon zu schenken, einem Antwerpens? von Geburt und Sohn jenes Abenteurers, der 20 Jahre vorher die berüchtigte Plünderung Antwerpens geleitet hatte. Man hat behauptet, es ist jetzt sogar die herrschende Ansicht, dass Rubens während seines zweiten Aufenthalts, im Jahre 1628, jenes wichtige Gemälde, welches inzwischen, nachdem Calderon in Ungnade gefallen, Eigentum der Krone geworden war, überarbeitet habe. Bestimmt lässt es sich nicht sagen. Jedenfalls zeigt es weniger Frische und Ursprünglichkeit als die Werke der folgenden Jahre. Das reiche Kolorit verdeckt nur zum Teil die Härte der Linien und der Stil verrät, wie lebendig noch die Werke des Giulio Romano und des Tizian in der Erinnerung des Künstlers waren.

In Antwerpen gelangt Rubens zu seiner herrschenden Stellung. Er wird in wunderbarster Weise durch die Umstände unterstützt. Unter der Verwaltung von Albert und Isabella ist die Kirche zu voller Macht gelangt. Bürgerliche und religiöse Körperschaften wetteifern mit Privatleuten, jedes Erinnerungszeichen an die Wirren zu verwischen, die zu Finde des XVI. Jahrhunderts den Boden der Heimat mit Blut getränkt und so viele Gotteshäuser eines Teiles ihres Schmuckes beraubt hatten. Vor Rubens waren bereits zahlreiche Künstler an der Arbeit, um mit ihrem Pinsel den Kirchen und öffentlichen Gebäuden ihren Glanz wiederzugeben; aber zweifellos erst in Rubens Thätigkeit finden diese Bestrebungen ihren echtesten und stolzesten Ausdruck. Jedes andere Kunstprinzip wird schnell durch das seinige verdunkelt: Das ist das Charakteristische für die Hämische Kunst an diesem Wendepunkt — eine Thatsache, die zwar zunächst etwas überrascht, sich aber leicht erklärt. Rubens war zum Herrschen geboren und, wie es scheint, widerstrebte ihm eine Teilung von Macht und Einfluss. Abgesehen hiervon, Rubens räumt, ebenso wie seine Vorgänger, den italienischen Einflüssen in seiner Kunst einen grossen Platz ein, aber es entspringt dies bei ihm anderen Quellen: Die Quellen seiner Phantasie sind neu, und nicht mehr opfert er denselben Göttern, wie die vor ihm. Die Strenge der Linienführung muss der hinreissenden Gewalt des Farbenausdrucks weichen. Wenn Rubens, wie Tintoretto, wünscht, bis zu einem gewissen Grade die Zeichnung eines Michel Angelo und das Kolorit eines Tizian zu verschmelzen, so strebt er doch nach diesem Ziel auf eine ihm völlig eigene Weise, und die Wege, die seine Phantasie geht, hat noch niemand vor ihm betreten. Ein Martin de Vos, ein unmittelbarer Schüler des Tintoretto, der mit seinen Werken die Kirchen von Antwerpen überschwemmte, hatte nichts von seiner Kühnheit. Es giebt gefälschte Stiche mit der Bezeichnung „Rubens“ an Stelle von „Tintoretto“. Eis Blick genügt, um den Betrug zu entdecken, ein so grosser Abstand trennt die beiden Meister, obwohl sie von derselben Anschauung ausgingen.

Die Aufrichtung des Kreuzes, jetzt in der Kirche Notre-Dame in Antwerpen, erinnert vielleicht in der Auffassung an das Fresko von Robusti; die Kreuzabnahme verrät deutlich den Einfluss des Daniel da Volterra; die Himmelfahrt Mariä, der wir so oft von der Hand des Meisters begegnen, hat als Quelle ihrer Konception das berühmte Bild des Tizian; die Beichte des heiligen Franciscus ist in der Gestaltung von der Beichte des heiligen Hieronymus von Dominichino beeinflusst. Und doch ein Vergleich in allen diesen Fällen verrät trotz aller Annäherung weit mehr Verschiedenheit als Uebereinstimmung. In Flandern war die Art, wie Rubens die religiösen Stoffe behandelte, neu. Sic zerreisst ganz plötzlich die Kette der Tradition. Da sind z. B. die Aufrichtung des Kreuzes und die Kreuzabnahme wohl noch Tryptichen, aber die Seitenflügel erscheinen hier nicht mehr als integrierende Teile des Ganzen; bei dem ersteren Gemälde beschränken sie sich auf eine Fortsetzung der Komposition des Mittelfeldes.

Zuweilen erinnern seine Kompositionen an die Anordnung in Werken anderer vlämischer Künstler. So ist sein Christus bei Simon dem Pharisäer (im Museum von St. Petersburg) identisch oder fast identisch in der Komposition mit einem Gemälde von Otto Vaenius in der Kirche von Bergue St. Winnocq nicht weit von Dünkirchen. Aber man sollte meinen, dass plötzlich der Hauch des Lebens die Szene verwandelt hätte und dass der Schüler mit seinem Pinsel wie mit einem Zauberstabe denselben Figuren Atem und Leben verliehen habe, die der Pinsel des Lehrers starr und leblos gelassen hatte.

Deutlich weisen uns derartige Beispiele die Bahn, die die vlämische Kunst durchläuft, da ihr in dem Genie beim Beginn des XVII. Jahrhunderts plötzlich die Morgenröte einer neuen Kunst am Horizont erscheint. Ein Schleier zerreisst gleichsam vor den Augen der Künstler und der Menge. Ein neues Gesetz ist entstanden; von jetzt an wird die Natur so sein, wie sie Rubens erscheint, in Form und in Farbe. Alles, was im Kunstwerk eine Rolle spielt, der Mensch und seine Umgebung, wird seine Auffassung zur Quelle haben. Selbst das Bauwerk wird mit seinen Linien so mitwirken, wie es seinem Pinsel erforderlich erscheint. Und — seltsam genug! — diese Kunstauffassung, ganz durchtränkt von italienischen Einflüssen, ist nichtsdestoweniger ganz vlämisch. Vlämisch ist sie in erster Linie in Hinsicht der Lichteffekte. In dem bläulichen Duft eines vlämischen Tages verliert die Linie die Schärfe, die ihr der italienische Pinsel verleiht.

Selten hat Rubens eine Szene durch das Kolorit dramatisch gestaltet. Die Kreuzabnahme bildet in dieser Beziehung fast eine Ausnahme. Hier hebt sich die Komposition in voller Klarheit von einem düsteren Hintergrund ab; die geheimnisvolle Beleuchtung steigert den Eindruck dieses gewaltigen Werkes und hat gewiss zu seiner Berühmtheit ein gut Teil beigetragen. Aber zu solchen Mitteln greift der Meister im allgemeinen nicht. Mit echt vlämischem Freimut ist er der Maler des vollen und klaren Lichtes. Selten haben seine Gemälde geheimnisvolle Stellen, die unser Auge nicht durchdringt. Bei dem Martyrium des hl. Livinus im Museum von Brüssel spielt sich die scheussliche Szene, wo die Zunge dem Märtyrer ausgerissen und den Hunden vorgeworfen wird, im hellsten Sonnenschein ab.

Vlämisch wie im Lichteffekt ist Rubens auch in seinen Typen. Wohl führt er zuweilen in seine Kompositionen Orientalen, Nubier, Araber ein. Sein Wissensdrang gefällt sich in diesen ethnographischen Versuchen, von denen die Studie von Negerköpfen in Brüssel ein vollendet schönes Beispiel ist. Aber das geschieht bei ihm nur nebenbei.

Rubens — Winckelmann nimmt daran Anstoss, die moderne Kunstkritik erkennt darin ein Hauptmoment seiner Grösse — Rubens hat nicht, wie vor ihm ein Coxie, ein de Yos, ein Vaenius, in seiner Mappe oder in seiner Erinnerung nach italienischen Reminiszenzen, Formen und Typen gesucht. Er bevölkert seine Bilder mit Männern, Frauen und Kindern seiner Heimat und seiner Rasse. Es hat lange gedauert, bis man erkannt hat, dass diese enge Berührung des Meisters mit der ihn umgebenden Weh und Natur ein Ruhmestitel sei; ja dem, der den Dingen auf den Grund geht, wird es sein eigentliches Lebens- und Kunstelement bedeuten und die Ursache davon, dass sein Erscheinen so befruchtend auf die Kunst wirkte.

Welchen Gebrauch oder welchen Missbrauch auch die folgenden Künstler von seinen Prinzipien gemacht haben mögen, Rubens selbst bleibt nichtsdestoweniger eine der herrlichsten und ursprünglichsten Erscheinungen, die die Annalen der Kunst zu verzeichnen haben. Vielfältige Einflüsse wirken bei seiner Entwicklung zusammen, keiner unterdrückt seine Individualität. Etwas Neues und Einheitliches entsteht aus der Vereinigung mannigfacher Elemente in seinen Werken — ein wohltönendes Metall entspringt dem Schmelzofen und seine Tonw ellen rauschen fort durch Zeit und Raum.

Henri Hymans.


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