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Channel: PETER PAUL RUBENS 1577-1640 – Kunstmuseum Hamburg
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John Constable und PETER PAUL RUBENS

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Der Witz Fuselis, er liebe Constables Landschaften, doch brauche man Ueberzieher und Regenschirm dazu, zielte auf das Tropfende und Fliessende der Farbe aller guten Bilder seines Freundes, eine Eigenschaft, die den Holländern fern lag, auch wenn man ihnen nicht die schlimme Trockenheit so vieler englischer und deutscher Landschaften, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts unter ihrem Einfluss entstanden, zur Last legen kann. Constable zeigte schon früh Andeutungen jener Eigenschaft, die seinen Büdern die Frische sicherte, und das hohe Beispiel des Rubens hielt ihn an, diese Anlage auszubilden. Seine Verehrung des LTämen geht mit seiner Liebe zu den Holländern parallel. Seine Landschaften, soweit sie überhaupt auf fremde Bestandteile analysiert werden können, enthalten beide Potenzen in gleichen Mengen. Rubens war der ungestüme Dränger und Treiber, der ihn zum Lichte zog, und dem es trotzdem so wenig wie Rembrandt gelang, dem eisern auf die Natur Gerichteten den Kopf zu verdrehen. Constable neigt sicher mehr zu ihm als zu Rembrandt, aber wie ein Holländer, der, mag das Blut noch so leicht fliessen, nicht die Behäbigkeit verliert. Er hatte nichts, was dem Italienischen des grossen Nachfolgers Michelangelos folgen konnte, so wenig wie Hogarth, mit dem er sich hier traf; aber er sah hinter der Leidenschaft der Höllenstürze die lichte Rubenssche Intelligenz und fühlte sich von dem glücklichen Naturalismus des Schlossherrn von Steen angezogen, der nicht verachtete, neben den grossen Feudalbildern seine Pferde und Kühe im Stall und auf der Weide zu malen und das Königliche seiner Fuge in solchen Bildern nur durch die Freude des Besitzers erwies, eines doppelten Besitzers.

Rubens hiess ihn, auf das Blonde zu achten, lockte ihn aus dem Dickicht der Wälder Gainsboroughs ins Freie und mag ihn ermutigt haben, die Sonnenuntergänge mancher Marinen mit allem Glanz der Palette zu schildern. Solche Beispiele, in denen man auch in der Koloristik die Beziehung wahrzunehmen meint, sind selten; der Louvre besitzt eins der schönsten1). Dagegen ist die Art des Farbenauftrags in der Frühzeit die glücklichste Folge intensiver Beschäftigung mit dem grossen Meister.

1) Aus unerfindlichen Gründen von englischer Seite neuerdings angezweifelt. (P. M. Turner: The Representation of the British School in the Louvre, Burlington Magazine, März 1907. Mehr recht hat der Autor mit seinem Zweifel an der Echtheit des „Moulin“ des Louvre, den er mit triftigen Gründen Wcbb zuspricht.)

Ich meine die köstliche Geschmeidigkeit der Pinselstriche, die Fähigkeit, mit einem gewundenen Strich die Formen eines Details vollkommen wiederzugeben, und zwar die Form im Besitz ihres Lichtwerts und ihrer Lokalfarbe. Später tritt diese flaumhafte Weichheit zugunsten markiger, mit Vorliebe gerader Striche zurück. Doch bleibt auch dann noch, nicht in der Einzelheit, wohl aber in den grossen Umrissen der Komposition, eine Erinnerung an Rubens lebendig.

Rembrandt scheint mehr die Skizzen befruchtet zu haben, Rubens mehr die Gemälde. Die schrägen Motive der Rubensschen Landschaften trieben Constable zur Ausbildung einer an Diagonalen reichen Komposition, und das Vorbild wurde ihm zumal da nützlich, wo er mit detaillierten Vordergründen und weiten Perspektiven zu rechnen hatte. Also vor allem in den Schleusenbildem, wie „The Lock“, ,,The Leaping Horse“, „Fiatford Mill“ und vor allem „The Opening of the Lock“. Dann in der Reihe von Werken, die von der „Salisbury Cathedral from the Meadows“ abgeschlossen wurde. Der Nutzen war ganz ideeller Art und erweist das Beglückende aller Beziehungen Constables zu den alten Meistern. Man wird nicht auf diese oder jene Zufälligkeit des Vorbildes hingewiesen, die in anderer Form bei dem Nachahmer wiedererscheint, sondern erkennt die Vorzüge des alten Meisters in den Tugenden des Nachfolgers wieder, und diese Verallgemeinerung vergrössert ebensosehr unsere Verehrung zu dem einen wie zu dem anderen. Constable nahm sich die Lichtheit und Uebersichtlichkeit Rubensscher Motive zum Vorbild, den jedes Teilchen durchdringenden Organismus, der selbst in der grössten Fülle von Variationen die Einheit des Themas bew’ahrt. Rubens veredelte seine Sachlichkeit und trieb ihn, die Form, nicht das Objekt zu detaillieren; sein Beispiel sorgte für die „Absence of every stagnant“, wie Constable selbst in naiver Schöpferfreude über seinen „Lock“ an Fisher schrieb1).

Wie seine eigenen Bilder, war ihm der Rubenssche Zyklus der Jahreszeiten vertraut, der anfangs des Jahrhunderts aus dem Palazzo Balbi nach England entführt wurde und zum Leidwesen Constables hier in drei Teile ging, von denen der geliebte „Rainbow“ dem Earl of Oxford — heute bei Wallace — zufiel, das „Chateau de Steen“ an Sir George Beaumont kam — heute in der National Gallery — und die beiden anderen dem Windsor-Palast einverleibt wurden. Es mag gewagt erscheinen, diese Zeugnisse eines zum Herrschen geborenen Genies, das spielend die in Rahmen gezwrängte Fläche des Bildes nochmal zur Raumpracht der Freske ausdehnte und selbst hier, wo es sich mit bescheidenen Motiven begnügte, ja vielleicht hier noch wilder als sonst, seine Persönlichkeit austoben liess, mit den Bildern des Spätgeborenen zu vergleichen, die nichts als Landschaften sein wollen. Der Natur, die jener mit unerhörter Gewalt umformte — despotischer als je seitdem gewagt wurde —, nahte sich Constable mit der Liebe eines respektvollen Sohnes, im bescheidenen Gewand eines Hobbema, und es widerspricht aller Wahrscheinlichkeit, dass solche Sinnesäusserungen bei gleichem Gelingen auch nur annähernd die Macht jenes Subjektivismus erreichen könnten.

1) „My Lock is now on my easel; it is silvery, windy and delicious; all health, and the absence of every thing stagnant, and is wondcrfully got together.“ (Leslie, 173.) In seiner klugen und feinfühligen Art entfernt Leslie nach diesem Zitat den Verdacht des Egoismus von dieser „artists exultation“: „The utterance of a man’s real feelings is more interesting, though it may have less of dignity than belongs to a uniform silence on the subject of seif, while the vanity is often no greater in the one case than in the other.

Aber abgesehen von dem selbstverständlichen Unterschied zwischen den absoluten Potenzen beider Künstler, lässt solcher Anschein die notwendige und wohltätige Evolution der Zeit ausser acht, die keinem Künstler, sei er auch viel grösser als Constable, erlaubt, sich im engeren Sinne mit dem Vorfahren zu messen. Solches Verlangen käme der Forderung gleich, unsere Tapferkeit und unsere Ideale durch siegreiche Kreuzzüge zu betätigen. Constable konnte es nicht einfallen, einem Rubens mit der Geste eines Rubens gleichzukommen. Diese Form entsprang nicht allein der Rubensschen Kraft, sondern war gleichzeitig Geste einer Vielheit. An sie, die Menge, die damals noch ein Künstler mit mächtiger Gebärde entzünden konnte, appellierte der Flame und gewann aus der Zuversicht in den Widerhall seines Appells die Kraft des Vortrags. Ein Rubens in unseren Tagen würde dem Redner gleichen, der vor leeren Bänken weltumstürzende Ideen predigt. Hätte der Mann aber Erfolg und begeisterte die Masse, so wäre er sicher kein Rubens. Ein Künstler unserer Tage von der Potenz des Antwerpener Meisters wird nicht rhetorisch sein, sondern sich verstecktere Aeusserungsarten suchen. So tat Constable. Das Problem war, die versteckte Wirkung so reich wie die des anderen zu machen. Die Lösung konnte nur durch eine Verlegung der Kraft gelingen, dadurch, dass Organe des Kunstwerks herangezogen wurden, die von den Trägern Rubensscher Schönheit mehr oder weniger unabhängig waren. Die entscheidende Wirkung des Flämen steckt in seiner Modellierung. Diese machte eine verhältnismässig summarische Koloristik notwendig. Rubens hätte den Fluss seiner Formen gehemmt, wenn er ihn durch die Farbe in zuviel Nebenströme geteilt hätte und wäre unleserlich geworden. Wohl entsteht die Farbigkeit seiner Bilder nicht lediglich durch das Spiel der Formen, die Mitwirkung der Palette hat einen unübersehbaren Anteil. Aber wie gross der auch sei, die Modellierung entscheidet. Die Farbe ist ein prachtvolles, ungemein geschmeidiges Material, das auf der Palette, also jenseits des Bildes geschaffen wird und mit dem Rubens formte, wie der Bildhauer mit dem Ton. Die koloristischen Variationen entstehen vergleichsweise wie die Reflexe eines kostbaren Stoffs, der sein Aussehen nach den Formen verändert, über die er gedeckt wird. Den ungemein rohen Vergleich mag der Leser dem Wunsche, deutlich zu sein, zugute halten. Constable musste von vornherein auf die Art des Rubensschen Formenspiels verzichten. Der Baum, der Fluss, der Himmel, alle Dinge der Wirklichkeit, waren ihm nicht relative Begriffe, die man durch Modifikation ihrer Formen zu Bildern zusammensetzen konnte, sondern hatten den Grad seiner objektiven Erkenntnis darzutun. Die Umformung in ein künstlerisches System konnte nur durch Ausnutzung der natürlichen Zusammenhänge zwischen allen Dingen einer Landschaft erfolgen. Rubens hatte das einzelne in der Nähe betrachtet, in dem Wald nicht ein unteilbares Ganze, sondern eine Summe von Bäumen erblickt und durch die besondere Ausbildung eines Baums oder einiger Bäume die Illusion der Vielheit zu wecken gesucht. Nur mit der stilisierenden Linie war ihm gelungen, dieses Produkt von Einzelheiten zusammenzufassen. Nahm der Maler dagegen, wie es die natürliche einheitliche Betrachtung verlangt, die Landschaft ohne Rücksicht auf das einzelne von einem Fixpunkt aus, auf den alle Entfernungen bezogen wurden, so entstanden Massen, die sich nicht linear begrenzen Hessen. Das Lineare trat alsdann die stilbildende Rolle an die Farbe, genauer gesagt, an den farbigen Fleck ab. Auf diesen konzentriert Constable seine ganze Kunst. Er vernachlässigte verhältnismässig die Modellierung, schuf keine willkürlichen Umrisslinien, sondern unterdrückte alle, auf die er verzichten konnte, und bereicherte um so mehr die Fläche. Er modellierte seine Flecken, so wie Rubens seine Formen.

Wir erkennen das Prinzip sowohl als exzentrisches wie als konzentrisches System im Vergleich zu Rubensscher Gestaltung. Exzentrisch, insofern Constable auflöst, was Rubens zusammenhielt; konzentrisch, insofern er zu Massen zusammenfasst, was jener zerstreut Hess. Die moderne Malerei hat das System immer weiter ausgebildet. Constable selbst erwies es am konsequentesten in seinen Skizzen. Im Gemälde geben sich die Unterschiede der beiden Anschauungen mehr in Details als im Ganzen zu erkennen. Die pompösen Pferde im Vordergrund des späten Kathedralbildes sind offenbar die Nachkommen der Brabanter Hengste, die in den Ställen des Schlosses Steen ihr beschauliches Dasein führten. Rubens malte seine Lieblinge wie Monumente, übertrieb ihre Formen ins Ungeheure und sorgte dafür, dass jedem, dem je so ein Gaul in den Weg kommt, stets der Typus vor Augen steht. Der Stall war ihm nur Rahmen für den Koloss, und fast dasselbe war ihm die Landschaft um seine Menschen und Tiere. Noch in den beiden Pendants der Jahreszeiten erscheinen die Pferde wie das Fleisch gewordene Leben der Natur. Sie wären unmöglich, wenn man sie herausnähme, das Bild würde auseinandergezerrt, die Bäume würden umfallen; sie scheinen die ganze Landschaft auf ihren gewaltigen Rücken zu tragen. Auch Constable vernachlässigte keineswegs seine Staffage. Die Formen sind nicht so kolossal, aber gedrungener, sie gehören ganz unbedingt nur in diese Landschaft und in keine andere, aber ihr Verhältnis zur Umgebung ist gelassener, das Gefüge ist dichter. Man sieht die Tiere weniger. Der Blick eilt unwillkürlich sofort von ihnen zu dem blinkenden Wasser und zu den silbrigen Bäumen. Man nimmt weniger starke Einzelmotive wahr, sondern ruhigere, leisere Klänge. Aber in dem Leisen wirken reichere Akkorde. Ein Beispiel für viele: Das Rot der Schabracken der. flanderschen Gespanne schmückt auch stets die Zugtiere der „Valley Farm“. Rubens verwendet die roten Flecke, zuweilen ganz ähnlich wie Claude, als schmückende Zutaten. Sie liegen flach auf, schwimmen auf dem Strom seiner Materie und wirken nur mit dem Wert, den sie auf der Palette besitzen. Für Constable dagegen wird das Rot zu einem entscheidenden Faktor der Gestaltung. Er gibt der Farbe durch Modellierung des Flecks rubinhaften Glanz und ruft damit eine tief im Wesen des Malerischen liegende neue Illusion der Wirklichkeit hervor. Denn auch in der Natur würden, wir im gegebenen Moment von den Pferden zuerst das in der Sonne leuchtende Rot bemerken, bevor wir die Form erkennen, und auch nachher bleibt für die Bildung unseres Eindrucks dieser an sich winzige Farbeneffekt von entscheidendem Werte. Früher als Constable hat Hobbema dieselbe Erfahrung gemacht und angefangen, Nutzen daraus zu ziehen. Die Erinnerung an ihn begegnet uns in den grossen Gemälden Constables oft eng verknüpft mit den Spuren des Antwerpener Meisters.

Das Spiel der Staffage in dem „Rainbow“ und im „Chateau de Steen“ ver-anlasste Constable, mit den verschiedenen Fassungen seines „Hay Wain“ ein ähnliches Pendant zu versuchen. In den Bildern dieses Titels in der National Gallery und im South Kensington zieht der Leiterwagen leer aus wie im „Chateau de Steen“, während er in der Variante bei Cheramy, wie im „Rainbow“ schwer mit Getreide belastet heimkehrt1). Es wird nicht leicht zu entscheiden sein, welcher der beiden Kompositionen der Vorzug gebührt. In dem berühmten Londoner Bild sind die Pläne grösser, die Farm hegt ungemein malerisch zwischen den Bäumen und die Wasserfläche mit dem Wagen bereichert vorteilhaft den Vordergrund. Offenbar wurde in dem, übrigens wesentlich kleineren, Pariser „Hay Wain“ die Stelle hinter der Farm genommen. Infolgedessen sind hier die aufladenden Schnitter, die man auf dem Bild der National Gallery nur in äusserster Entfernung bemerkt, ganz nahe und schliessen den Horizont mit einer von leuchtendem Weiss getragenen sehr schönen Gruppe ab. Die Malerei hat nichts von dem kühlen Süber der endgültigen Fassung, sondern nähert sich mehr der grossen Skizze im South Kensington, übertrifft diese aber durch die Gewalt des Ausdrucks. Mehr die verschiedenen Ausdrucksarten als der äusserliche Wechsel des Motivs geben die Pendants. Im Londoner „Hay Wain“ wird die Idylle geschildert. Die Beziehung des Menschen zur Natur offenbart sich als erquickender Friede. Rubens ist fern, ein vergrösserter und vergeistigter Hobbema begrüsst uns. In welcher Stimmung man den Saal der National Gallery betreten mag, fünf Minuten vor dem „Hay Wain“ geben Ruhe und Gelassenheit. In dem Pariser Bild ist die Natur näher und agressiver. Die Sonne brennt gewaltig. Menschen und Tiere scheinen unter der Hitze zu bluten. Selbst mit dem Braun der Aeste mischt sich das Rot. Wunderbar ist dieses gewaltige Blättergewölbe über dem Wagen, wahrhaft eine „formidable cath6drale des con-structions vegetatives“, mit der Sensier die Bäume Rousseaus verglich. Man glaubt Rubenssche Kraft in jedem Ast, in jedem Blatt, in jedem Naturkeime wiederzufinden.

1) Wohl aus derselben Zeit 1821. Cheramy besitzt auch eine kleine Skizze zu dem englischen „Hay Wain“, vielleicht den ersten Gedanken. Man erkennt die Farm, den Wagen, die Pferde mit den roten Schabracken. Nur fehlt die weite Ebene rechts.

Eine andere Art von gewaltigen Konstruktionen, die auch zuweilen an Rubens denken lassen, baute Constable mit seinen Wolken. Seine Himmel sind die Gesichter der Landschaften. Sie spiegeln, in Kurven übersetzt, wider, was auf der Erde vorgeht, und scheinen der Sitz des Geistes, der das zerstückte Körperliche unter ihnen zusammenfassend beherrscht. „I have often been advised“, schrieb er einmal an Fisher, „to consider my sky as a white sheet thrown behind the objects. Certainly if the sky is obtrusive, as mine are, it is bad; but if it is evaded, as mine are not, it is worse; it must and always shall with me make an effectual part of the composition“. Darin steckt ein Widerspruch. Sowohl die zudringliche Betonung wie die Vernachlässigung des Himmels widersetzt sich der Einheit der Komposition. Constables eigene Werke und das Lob, das seinen Himmeln schon zu Lebzeiten von sonst feindlichen Kritikern zuteil wurde, scheinen das ,Obtrusive“ zu bestätigen. Vielleicht ist etwas Wahres an dem Selbstvorwurf. Nur generalisierte Constable ihn voreilig. In hundert Beispielen tritt der Himmel nicht um eine Nuance zu weit hervor. Zuweilen mag den Müllerssohn die von Kindesbeinen an geübte Beobachtung des Firmamentes, der „Source of light in nature“, zu einer übertriebenen Materialisierung der luftigen Gebilde verleitet haben. Der Nachteil schädigt dann nicht die Komposition, die Ornamentik des Bildes gewinnt vielmehr, nur der notwendige Unterschied zwischen der Konsistenz des Himmels und der des Restes wird geopfert. Die Beispiele finden sich ausnahmslos in der letzten Zeit; ein besonders typisches, eine Ansicht der oft gemalten „Stoke Church“ ist hier abgebildet. Die weisse Kirche scheint aus der weissen Masse der Wolken hervorgegangen, eine Verdichtung des wilden Elementes der Lüfte. Die Lokalfarbe begnügt sich, die weissen Massen mit unscheinbaren Tönungen zu unterscheiden. Der fast ausschliesslich mit dem Messer vollzogene Auftrag kommt dem Relief näher als der Malerei und eignet sich glänzend für die durchbrochene Architektur der alten Kathedrale. Wie weit scheint dieser Constable von der Weichheit Rubensscher Gestaltung. Und doch spürt man auch hier noch, wo der Pinsel alle Rechte verloren hat, in dem saftigen grün-geränderten Braun der Baumgruppe, in den schwimmenden Schatten, die, wo sie am tiefsten sind, von den bewussten roten Punkten belebt werden, einen Hauch Rubensschen Fliessens, und dieser scheint der drohenden Erstarrung vorzubeugen.

In solchen Bildern machte die Ausprägung des Himmels eine noch stärkere Betonung der Erde notwendig, und so wurde das ganze zu robust und liess den Reichtum der Anschauung vermissen. Freilich wird dieser Nachteil oft durch die geeinte Kraft der Gestaltung aufgehoben. In vielen Fällen ist von verschiedenen Behandlungen desselben Vorwurfs die pastoseste die glücklichste geblieben. Das gilt z. B. von den Bildern, die den Titel „The Spring“ tragen. Das Motiv stellt einen Acker mit pflügenden Bauern dar, mit einer Baumgruppe zur Linken und der Mühle — in der Constable als Müller gearbeitet haben soll — zur Rechten. Die erste Fassung ist die kleine Skizze im South Kensington aus dem Jahre 1814 (Nr. 144), eine korrekte, nicht sonderlich hinreissende Naturstudie1). Die schönste Darstellung des Vorwurfs stammt aus dem letzten Jahrzehnt und gehört Cheramy. Hier übernimmt das Palettenmesser die Rolle des Pinsels. In breiten Massen ist der drohende Gewitterhimmel hingestrichen. Grosse Fetzen von reinem, glatt geschlichteten Weiss umhüllen sich mit dunklen wolkigen Gebilden. Nach der Linken zu sinkt der Himmel immer tiefer auf die Erde herab. Selbst in der Abbildung erkennt man bei aller Wucht des Temperamentes den Unterschied zwischen den Materien des Himmels, der Baumgruppe und des Ackers. Die Erde ist von viel kleinerem Gefüge als das wie von Spannung verzerrte Wolkendach. Das Verhältnis überzeugt unwiderstehlich. Die Farbenteilchen, den weitgeöffneten Poren des Humus ähnlich, geben den die Entladung erwartenden, schwer atmenden Boden. Pechschwarz liegen die dicken glänzenden Schollen, vom blutroten Pflug zerfurcht. Pferde und Mensch, selbst die Mühle erscheinen klein in diesem Spiel. Sie werden bald den Schauplatz dem Gewitter überlassen, das die Erde tiefer aufwühlen ward, als des Pfluges winzige Schneide. Wohl überwältigt in diesem Bilde der Himmel die Erde, aber nicht die Form; und obtrusiv wirkt nur die Macht des Elementes, das hier, im Kiemen nicht weniger gewaltig als bei Rubens im Grossen, Himmel und Erde zum Spielball seiner Laune macht.

1) Nach dieser Skizze wurde das von P. M. Turner mit Recht als Fälschung bezeichnete Bild des Louvre in längerem Format gemacht, das den Titel „Le Moulin“ trägt.

Text aus dem Buch: Die grossen Engländer (1908), Author: Meier-Graefe, Julius


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