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Channel: PETER PAUL RUBENS 1577-1640 – Kunstmuseum Hamburg
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Peter Paul Rubens – das kleine jüngste Gericht

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(1577—1640)
Holz, 182×120 cm

Wir kennen die Daten für drei Rubenssche Darstellungen verwandten Gegenstandes wenigstens annähernd. Das große „Jüngste Gericht“ der Münchener Pinakothek, von dem Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg für die Jesuitenkirche in Neuburg bestellt, mußte vor 1618 entstanden sein (W. Hookham Carpenter, trad. par L. Hymans, Memoires et documents inidits sur A. v. Dyck. P. P. Rubens et autres artistes contemporains. Anv. 1845, p. 171). Der „Engelsturz“, von demselben Pfalzgrafcn für die Kirche in Hemau nach Vollendung der zwei Seitenaltarbilder der Neuburger Kirche 1619 in Auftrag gegeben und wie das vorstehende Bild gleichfalls mit der Düsseldorfer Galerie nach München gelangt, erscheint schon 1621 in dem L. Vorstermannschen Stich reproduziert. Nahezu gleichzeitig dürfte auch der »Sturz der Verdammten« sein, wenigstens datiert ihn Philipp Rubens in einem Briefe an de Piles mit 1621 (Ch. Ruclcns. La vie de Rubens par Roger de Pilcs: Bulletin Rubens II. 166). Max Rooses glaubt es freilich beträchtlich früher, nämlich 1614 setzen zu müssen. — Für unser Bild liegen keine Nachrichtcn über die Entstehungszeit vor. M. Rooses denkt an die Zeit um 1615, E. Michel setzt es in die Jahre 1616 und 1617. Es ist wie bei den vorgenannten Werken die Zeit der blühendsten Phantasie und des Wagemutes des Meisters, welcher in kühnen Posen und in dem Bestreben schwelgt, die schwierigsten Probleme von Stellung und Bewegung zu lösen. Doch verbindet sich hier dieses Streben bei aller Freiheit von Zwang und Gebundcnsein mit einer den anderen genannten Schöpfungen fehlenden Abgewogenheit der Anordnung und Durchführung der Gesamtkomposition wie der Einzelgestaltcn und Gruppen, die nichts unklar, gehäuft oder gedrängt erscheinen läßt, wie das an dem »Sturz der Verdammten« durch allzu bündelhaftc Dichtheit und Verwirrtheit des diagonal verlaufenden Knäuels der Fall ist, bei welchem die stark hervortretenden feisten Schlemmer der Schönheit allzu empfindlich entgegentreten. Daß in unserem Bilde die Glorie und das Emporschweben der Seligen hinter der breiten und kraftvollen Darstellung des Sturzes der Verdammten stark zurücktritt, kann nicht getadelt werden, da die himmlische Gruppe vielmehr als eine vorausgegangene, sich im Mittelgründe verlierende Szene zu betrachten ist. Die Gruppe der Verdammten bot auch der Phantasie des Künstlers mehr Gelegenheit zur Entfaltung, sowohl durch ihren unerschöpflichen Formen- und Bewegungsreichtum wie durch die momentane Lebendigkeit des Schwebens, Stürzens, Zerrens und Gezerrtwerdens, an der rechten Seite gesteigert bis zum Höllcnpfuhl herab, der mit den Gcwaltszcnen am Boden eine gewaltige Basis bildet. — Und das Ganze erscheint getaucht in den Zauber eines wechselvollcn, an der linken Seite zarten und duftigen, rechts kraftvollen, glühenden Kolorits, welches ebenso dem Gegensätze der himmlischen wie der Höllengruppc, wie jenem der Geschlechter und der Opfer den diabolischen Gewalten gegenüber gerecht wird, wobei es nur eines lasurartigen Farbenauftrags bei durchscheinendem Malgrunde bedarf. Dabei feiert das malerische Prinzip seinen vollendetsten Triumph. Man kann nicht umhin, sich der diametral anderen Auffassung von Michelangelos Jüngstem Gericht vergleichend zu erinnern, bei welchem die architektonisch plastische Anordnung und Durchbildung bedingend erscheint, wie sie der italienischen Kunst mit wenigen Ausnahmen anhaftet, und nur vom venezianischen Cinquecento teilweise und selbst von Correggio nicht ganz überwunden wird. Ohne Vernachlässigung der Form geht das Werk in der Farbe auf, getragen von einer malerischen Meisterschaft, deren Einheit keine Gehilfenhand stört, die uns an Rubens umfänglicheren mythologischen, kirchlichen und dekorativen Schöpfungen gelegentlich verstimmt. — Die Rückseite des Bildes zeigt eine ziemlich belanglose Landschaft, unaufgeklärt bezüglich ihres Zweckes wie selbst hinsichtlich der Urheberschaft. Vielleicht war das Bild in einer Hauskapelle umgehbar aufgestellt und machte es dadurch wünschenswert, das rohe Holz dem Auge zu entziehen.

Text und Bild aus: Album der Alten Pinakothek zu München, fünfzig Farbendrucke, mit begleitenden Texten und einer historischen Einleitung. Author,Alte Pinakothek (Munich, Germany); Reber, Franz von.


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